Die Politik- und Gesundheitswissenschaftlerin Katharina Crepaz hat sich mit dem Einfluss gesellschaftlicher Teilhabe auf die Gesundheit beschäftigt - und dafür den Habilitationspreis der TU München erhalten.

Was hat Minderheitenpolitik mit Gesundheit zu tun? Ein Gespräch mit unserer Forscherin Katharina Crepaz zeigt: sehr viel. Crepaz hat sich in ihrer wissenschaftlichen Arbeit vor allem mit Diversität, Europapolitik und Autonomie beschäftigt. Ihre Habilitation hat sie jedoch an der Fakultät für Sport- und Gesundheitswissenschaften der Technischen Universität München absolviert. Das ist nur auf den ersten Blick eine ungewöhnliche Kombination, denn Lebensumfeld, Alter, Geschlecht und Migration haben als sogenannte soziale Determinanten entscheidenden Einfluss auf die Gesundheit eines Menschen.

Eurac Research: Frau Crepaz, wie kommt es, dass Sie sich als Politologin mit Gesundheit beschäftigen?

Katharina Crepaz: So ungewöhnlich ist das gar nicht. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) definiert Gesundheit nicht nur als Abwesenheit von Krankheit, sondern meint damit ein ganzheitliches körperliches, soziales und mentales Wohlbefinden. Wenn Personen nicht teilhaben können, wenn sie nicht befähigt sind, mitzuentscheiden, dann bleibt vor allem die soziale Komponente der Gesundheit auf der Strecke – und damit letztendlich auch die körperliche und mentale. Ich war in München an zwei Orten tätig, nämlich am Max-Planck-Institut für Sozialrecht und Sozialpolitik und an der Technischen Universität am Lehrstuhl für Diversitätssoziologie. Beide legen einen Schwerpunkt darauf, wie wir mit Diversität in unserer Gesellschaft umgehen. Welchen Einfluss hat es auf die Gesundheit, wenn Personen politisch und gesellschaftlich partizipieren oder eben nicht? Das war eine zentrale Frage meiner Habilitation.

Und welche Antworten haben Sie gefunden?

Crepaz: Alles steht und fällt mit Repräsentation und Partizipation. In Deutschland waren Personen mit Beeinträchtigung, für die eine Vormundschaft angeordnet war, lange vom Wahlrecht ausgeschlossen. Ihnen wurde somit die grundlegendste Form politischer Partizipation verwehrt. Anders in Italien, wo schon mit dem großen Reformblock der 70er-Jahre die Weichen für mehr Inklusion gestellt wurden – etwa für die inklusive Schule, die heute europaweit als progressives Vorzeigemodell gilt. Auch Menschen mit Migrationshintergrund sind von Wahlen ausgeschlossen, wenn sie in ihrem neuen Aufenthaltsland keine Staatsbürgerschaft haben. Sie müssen sich anderer Formen der Partizipation bedienen, zum Beispiel über Beiräte. Solche Gremien sind aber nie so effektiv, wie es Wählergruppen sind. Wer keine Stimme hat, ist politisch nicht interessant genug und hat dementsprechend wenig Lobbypotential.

Ungleichheiten, die sich aus den Lebensbedingungen ergeben, werden zu gesundheitlichen Ungleichheiten.

Wirkt sich diese mangelnde Repräsentation auch auf die Lebenserwartung aus?

Crepaz: Es ist ein Zusammenspiel vieler Faktoren, aber die Antwort lautet grundsätzlich: Ja. Ungleichheiten, die sich aus den Lebensbedingungen ergeben, werden zu gesundheitlichen Ungleichheiten. Wenn wir über den Zugang zu Bildung oder die Lebensbedingungen in ärmeren Wohngegenden sprechen, denken wir vielleicht nicht als erstes an negative Auswirkungen auf die Gesundheit, aber diese sozialen Faktoren spielen eine wichtige Rolle. Migrationshintergrund ist häufig mit einem niedrigeren sozioökonomischen Status verknüpft, mit Problemen beim Zugang zu Präventionsangeboten, etwa für psychische Krankheiten, die in einigen Kulturräumen noch stark stigmatisiert sind. Das Gesundheitssystem ist generell komplex – dann stelle man sich vor, wie schwer durchschaubar es ist, wenn noch die Sprachbarriere hinzukommt.

Sie haben auch einen Blick auf Südtirol geworfen und die Möglichkeiten politischer Partizipation von Menschen mit Beeinträchtigung untersucht. Was ist Ihnen aufgefallen?

Crepaz: In einem Projekt habe ich einen Vergleich zwischen Bayern und Südtirol gezogen. Bayern hat in Sachen Bildungsmarginalisierung noch einiges zu verbessern. Marginalisierung bedeutet, dass bestimmte Personengruppen an den Rand der Gesellschaft gedrängt werden. Das ist etwa bei Sonderschulen für Menschen mit Beeinträchtigung der Fall. Dem steht in Südtirol – wie bereits erwähnt – die inklusive Schule gegenüber. Es macht einen Unterschied, ob Menschen mit und ohne Beeinträchtigung im Alltag Kontakt zueinander haben oder nicht. Was aber hierzulande im Gegensatz zu Bayern fehlt, sind Angebote, die die politische Teilhabe erleichtern. Dazu gehören etwa Informationen in leichter Sprache oder Videos mit Untertiteln. People First Südtirol, eine Selbstvertretungsgruppe von Menschen mit Lernschwierigkeiten, hat eine Broschüre für die Landtagswahlen herausgegeben, in der das Wahlsystem in einfacher Sprache erklärt wird. Interessanterweise war diese Broschüre insbesondere bei Schulen stark gefragt. Auch für Menschen mit Migrationshintergrund oder Personen mit geringen Sprachkenntnissen sind solche Informationsmaterialien wichtig. Im Grunde für jede und jeden von uns, denn warum etwas kompliziert machen, wenn man es auch einfach erklären kann.

Europa sollte doch mittlerweile eigentlich gelernt haben, mit Diversität umzugehen?

Crepaz: Na ja, noch hapert es am Mindset. Gerade für Gruppen, die vom dem abweichen, was wir als Standard definieren, ist es wichtig, sich als Teil vom kollektiven Ganzen zu fühlen. Vielfach sind es Menschen, die in irgendeiner Weise Unterstützung brauchen. Wir müssen davon wegkommen, diese Gruppen als passiv wahrzunehmen. Es geht um Empowerment. Ja, diese Menschen erhalten unsere Hilfe; aber wir müssen sie auch dazu befähigen, selbst teilzuhaben und sich an Entscheidungsprozessen und der Ausarbeitung von Angeboten zu beteiligen, die sie selbst betreffen. So muss Governance im politischen wie im gesundheitlichen Bereich aussehen.

Wenn wir sagen, es ist uns wichtig, dass alle dabei sein können, dann müssen wir auch den zusätzlichen Aufwand akzeptieren.

Es wird viel über Partizipation geredet, aber wenig partizipiert. Woran liegt das?

Crepaz: Vieles hängt vom politischen Willen ab, davon, wer im Gesundheitssystem die Entscheidungen trifft. Wenn wir sagen, es ist uns wichtig, dass alle dabei sein können, dann müssen wir auch den zusätzlichen Aufwand akzeptieren. Zum Gesetz zur Gleichstellung von Menschen mit Beeinträchtigung hat es beispielsweise einen Online-Dialog gegeben, wo alle ihre Ideen und Entwürfe einbringen konnten. In der internationalen Behindertenrechtsbewegung gibt es den Leitspruch „Nichts über uns ohne uns“. Das gilt im Grunde für alle marginalisierten Gruppen. Entscheidungen werden häufig noch immer von den berühmten alten weißen Männern getroffen, aber sie wirken sich auf ganz unterschiedliche Bevölkerungsgruppen aus. Ich denke, gewisse Aspekte kann man nur einschätzen, wenn man selbst betroffen ist. Unsere Gesellschaft wird heterogener. Mit diesen Veränderungen müssen wir umzugehen lernen.

Die Gesellschaft wird heterogener, und es ist auch leichter, anders zu sein.

Crepaz: Ja, ich glaube, es ist beides. Unsere Gesellschaft wird vielfältiger – auch in Südtirol – und gleichzeitig ist es akzeptierter, die eigene Diversität frei zu leben. Wir sehen aber auch zunehmend Gegenbewegungen zu einer offenen und inklusiven Gesellschaft, und sollten uns bewusst machen, dass bereits erzielte Fortschritte auch wieder rückgängig gemacht werden können.

Wo sehen Sie den größten Handlungsbedarf für Südtirol?

Crepaz: Im Gesundheitsbereich wurden leider viele in den vergangenen Jahren gemachten Schritte in Richtung vermehrter Partizipation wieder rückgängig gemacht. Durch die Pandemie haben sich klarerweise die Prioritäten geändert und der Fachkräftemangel tut ein Übriges. Wenn Angebote auf verschiedene Gruppen zugeschnitten werden sollen, braucht es Personal und Ressourcen, um diese Angebote zu gewährleisten. Das sind die Faktoren, an denen zielgruppenorientierte Arbeit aktuell scheitert, dabei wäre sie insbesondere im Präventionsbereich zentral. Mit erfolgreichen Präventionskampagnen können wir Erkrankungen verhindern und Gesundheitskompetenz schaffen, und somit nachhaltig positive Entwicklungen anstoßen. Digitalisierung und neue Informationstechnologien können zusätzliche Teilhabechancen schaffen.

Die Habilitation ist die höchste Hochschulprüfung, die gleichzeitig zur Lehre an Universitäten und Hochschulen befähigt. Sie haben sich für eine sogenannte kumulative Habilitation entschieden. Was bedeutet das?

Crepaz: Eine Habilitation kann entweder aus einer Monografie bestehen, also in Form eines einzelnen Buches eingereicht werden, oder eben kumulativ als Sammlung verschiedener Aufsätze in wissenschaftlichen Journals, die mit einer Einleitung und einem Fazit versehen wird. Die kumulative Variante hat den entscheidenden Vorteil, dass die Inhalte gezielter positioniert werden können. Ein Paper habe ich beispielweise in einer Zeitschrift für Management im Gesundheitswesen veröffentlichen können. Somit steigt die Chance, dass wissenschaftliche Inhalte auch jene erreicht, die sich täglich in der Praxis mit Diversitäts-Governance auseinandersetzen. Eine Habilitation kann somit durchaus in die Politik und Gesellschaft ausstrahlen.

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