Die Botschaft hör‘ ich wohl, allein es fehlt der Wille. Wer mit dem Schweizer Umweltingenieur Harald Desing spricht, möchte am liebsten gleich losziehen und den Entscheidungstragenden dieser Welt den Kopf zurechtrücken. Denn ein nachhaltigeres Leben zu führen und eine lebenswerte Zukunft zu gestalten, wäre für uns alle möglich, und zwar schon heute. Harald Desing forscht an der EMPA, der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt in St. Gallen, die es sich zum Ziel gesetzt hat, innovative Materialien und Technologien für eine nachhaltige Zukunft zu entwickeln. Wir haben im Rahmen des Futurologischen Kongresses „Energy: The Global Currency“ mit ihm gesprochen.

Seit 1950 hat die Menschheit mehr Energie verbraucht als in den 12.000 Jahren zuvor. Herr Desing, sind wir noch zu retten?
Harald Desing: Eine Frage, die ich mir selbst oft stelle. Die Zeit drängt, aber ja, es ist physikalisch noch möglich, eine fossilfreie Welt zu gestalten. Es ist noch möglich, das Klima zu stabilisieren, aber es ist ein sehr ambitioniertes Ziel und mit jedem Jahr, das wir zuwarten, wird es schwieriger.

Kreislaufwirtschaft, die Vermeidung von Treibhausgasen, weniger Fleischkonsum, erneuerbare Energie: zumindest auf dem Papier scheinen die Lösungen für eine lebenswerte Zukunft auf unserem Planeten schon lange festzustehen. Wäre es denn tatsächlich so einfach, eine schnelle Kehrtwende in unserer Energiewirtschaft hinzulegen?
Desing: Mit der richtigen Strategie wäre ein Umstieg innerhalb weniger Jahre machbar. Unsere Gesellschaft ist noch zu sehr von Energieträgern wie Kohle, Öl und Gas abhängig. Unser Ziel muss es sein, diese fossilen Emissionen zu eliminieren, beziehungsweise sogar umzukehren, CO2 aus der Atmosphäre zu entfernen und im Boden zu speichern. Was ich mir in meiner Forschung anschaue, ist das physikalische Limit, nämlich, wie schnell und wodurch fossile Energieträger ersetzt werden können, um eine Transition zu erneuerbarer Energie zu erreichen. Wenn man nicht nur den Klimawandel, sondern auch andere planetare Belastungsgrenzen wie Landnutzung oder Biodiversitätsverlust mitberücksichtigt, steht uns im Grunde nur die Solarenergienutzung in diesem Ausmaß zur Verfügung, dass wir tatsächlich auf fossile Stoffe verzichten können.

Nur die Solarenergie ist in der Lage, den weltweiten Energiebedarf zu decken.

Bei einem Wandel von einer fossilen hin zu einer solaren Gesellschaft, wie würden unsere Städte, unsere Landschaften konkret aussehen?
Desing: Das ist das Geniale an dieser Strategie: Im Prinzip würde es ausreichen, nur die ohnehin schon verbaute Umwelt, Dächer, Fassaden, Parkplätze, Schienenwege mit einer Solarhaut zu überziehen, um die Transition zu erreichen. Es braucht keine Solarparks auf der grünen Wiese.

Was macht Solarenergie so viel nachhaltiger als etwa die Energiegewinnung aus Wind- oder Wasserkraft?
Desing: Zunächst ist festzuhalten: Man kann alles übernutzen, auch die Solarenergie. Die Sonne treibt im Prinzip alle Erdprozesse - Wetter, Klima und Biosphäre - an. Wenn der Mensch Energie von den im Erdsystem genutzten Flüssen abzweigt, fehlt sie anderswo. Das kann bis zu einem gewissen Teil gut gehen, doch unser Planet hat seine Grenzen. Bestimmte Technologien, in diesem Fall die Solarenergie, können in größerem Ausmaß eingesetzt werden, ohne diese Grenzen zu überschreiten und Schaden zuzufügen, als andere Formen der Energiegewinnung. Erst vor kurzem haben wir in einer Studie die Grenzen des Erdsystems für die Nutzung erneuerbarer Energie untersucht. Das Ergebnis: nur die Solarenergie ist in der Lage, den weltweiten Energiebedarf zu decken. Alle anderen Formen der Energiegewinnung liegen deutlich dahinter, können aber regional durchaus eine Rolle spielen. In Gebieten mit großem Gebirgsgefälle kann Wasserkraft sinnvoll eingesetzt werden, doch global ist sie stark limitiert. Ähnlich verhält es sich mit der Windenergie. Auch dort ist das Ausbaupotential beschränkt.

Und woran hakt es jetzt? Sind es die politischen oder die technischen Hürden, die das größere Problem für eine Energiewende darstellen?
Desing: Als Ingenieur sehe ich in erster Linie die technische Perspektive und kann diesbezüglich sagen, dass wir eigentlich über alle notwendigen Technologien verfügen. In der Primärmaterialbeschaffung könnte es kurzfristig noch zu Engpässen kommen, aber auch das wäre zu bewältigen. Was die Materialnutzung und das Recycling anbelangt, arbeiten zahlreiche Forschungsgruppen daran, die besten Lösungen zu finden. Auch finanziell sollte es möglich sein. Selbst ohne Subventionen wäre Solarenergie bereits seit ein paar Jahren die günstigste Energieform. Es dürfte eigentlich gar keine Investitionen in fossile Energieträger mehr geben, weil sie sogar wirtschaftlich teurer sind als die erneuerbaren. Das passiert aber trotzdem und hat auch damit zu tun, dass Unternehmen auf ein bestimmtes Pferd gesetzt haben und nicht umstellen wollen. Das größte Problem liegt daher im politischen und wirtschaftlichen Willen. Durch die industrielle Revolution und die Nutzung fossiler Energieträger sind wir es gewohnt, dass wir Energie brauchen dürfen, wann immer und so viel wir wollen. Wenn wir diese Einstellung nicht ändern, wird das Klima wohl nicht mehr zu stabilisieren sein.

Wie sieht es mit Ihrem CO₂-Fußabdruck aus? Wie sparen Sie Energie?
Desing: Ich versuche, möglichst wenig Energie zu brauchen - und zwar in allen Formen. Das beginnt schon bei meinem Konsumverhalten, reicht über Ernährung, Mobilität bis hin zum Wohnraum. Wir wohnen in einer kleinen Wohnung, besitzen kein Auto und sind meistens mit dem Fahrrad unterwegs. Für weite Strecken nehmen wir den Zug. Die meisten Menschen würden es als Verzicht sehen, kein Auto zu haben. Ich verstehe es als Befreiung. Eine Befreiung von Zwängen, die wir uns selbst auferlegen: Reparaturen, Versicherung, die Parkplatzsuche, im Stau stehen. Sich um all das nicht kümmern zu müssen, führt zu mehr Zeit, in der man sich über wichtigere Dinge Gedanken machen kann. Darüber hinaus hat es mit Energiegerechtigkeit zu tun. In der Welt des Globalen Nordens ist der Energiebedarf pro Person wesentlich höher als im weltweiten Durchschnitt. Um Energiegerechtigkeit herzustellen, müssen wir unseren Energiebedarf deutlich senken.

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