©

Pflanzen und Tiere haben es sich über Jahrmillionen auf der Erde eingerichtet bis der Mensch kam. Er ist Hauptverursacher des neues Massensterbens. Ulrike Tappeiner, Leiterin des Instituts für Alpine Umwelt (Eurac Research) und Präsidentin der Freien Universität Bozen, über Nahrungsnetze, den gemeinen Weißklee und das großangelegte Biodiversitätsmonitoring Südtirol.

Forscher aus Dänemark und Schweden haben kürzlich berechnet, dass es drei Millionen Jahre dauern würde, um einigermaßen zu reparieren, was der Mensch an Biodiversität kaputt gemacht hat.
Tappeiner: Das klingt sehr dramatisch. Tatsächlich hat es in den letzten 450 Millionen Jahren bereits fünf Massenaussterben gegeben. Das letzte kennen wir alle aus der Schule: Vor 66 Millionen Jahren verschwanden die Dinosaurier und mit ihnen rund 75 Prozent aller damaligen Arten. Forschern zufolge verschwinden heute Arten allerdings 100 bis 10.000-mal schneller als beim letzten Mal, und diesmal ist die Ursache nicht ein Asteroideneinschlag, sondern der Mensch.

Ab wann erreicht der Rückgang der Biodiversität einen kritischen Punkt?
Tappeiner: Der kritische Punkt für uns Menschen ist spätestens dann erreicht, wenn die sogenannte funktionale Biodiversität bedroht ist. In einem Ökosystem stehen alle Organismen in Nahrungsbeziehungen zueinander: Pflanzen ernähren Pflanzenfresser, diese wiederum sind Nahrungsgrundlage für Räuber und am Ende steht der Topkarnivor, also auch der Mensch. In Nahrungsnetzen lassen sich solche Beziehungen bis ins kleinste Detail darstellen. Nun gibt es in solchen Netzen Knoten, an denen viele Arten zusammenlaufen. Sind wichtige Knoten bedroht, wird es brenzlig.

Was wäre so ein wichtiger funktionaler Knoten?
Tappeiner: Insektenarten, die für die Pflanzenbestäubung verantwortlich sind, etwa Bienen. Sterben sie aus, gibt es fast keine höheren Pflanzen mehr, also auch keine Nahrungsgrundlage für viele Pflanzenfresser. Außerdem sterben Vögel und kleine Säuger aus, die sich von diesen Insekten ernähren. Edward Wilson, der amerikanische Biodiversitätspapst, hat dazu eine Rechnung angestellt: Was wäre, wenn alle Insekten und Gliedertiere aussterben würden? In nicht einmal einem Jahr würde der Mensch ihnen folgen.

Seit wann gefährdet der Mensch die Biodiversität?
Tappeiner: Seit es ihn gibt. Unsere Vorfahren haben das Mammut und den Säbelzahntiger auf dem Gewissen. Es gibt heute keinen Ort auf dem Planeten, den wir nicht beeinflussen, von den höchsten Bergspitzen bis in die tiefsten Meeresgraben.

Womit richten wir den größten Schaden an?
Tappeiner: Weltweit sicherlich mit der intensiven Landnutzung. Sie zerstört die meisten natürlichen Habitate. Besonders dramatisch wirkt sich die Zerstörung der tropischen Regenwälder aus. Das sind uralte Systeme, hier hatte die Evolution sehr lange Zeit, viele neue Arten hervorzubringen. So gibt es etwa allein auf einer einzigen Baumart des tropischen Regenwalds bis zu 150 Käferarten.

Entstehen überhaupt noch neue Arten?
Tappeiner: Durchaus. Die große Frage ist: Entstehen heute weniger Arten als früher? Studien sagen, dass schon früher in einer Million Jahren nur 0,05-0,2 neue Arten entstanden. Neue Arten entstehen entweder aufgrund von Isolation – also etwa auf entlegenen Inseln – oder weil sich die Umwelt stark verändert: Dann pflanzen sich vor allem jene Individuen einer Art fort, die am besten mit den neuen Bedingungen zurechtkommen.

©

Wo passieren solche Evolution?
Tappeiner: Heute interessanterweise besonders in Städten. Hier sorgen Barrieren, etwa die Straßen rund um einen Park, für Inseln. Außerdem sind die abiotischen Umweltparameter andere: So ist es in unseren Städten im Sommer grundsätzlich wärmer, aber im Winter kälter, als im Umland. Nehmen wir den Weißklee, den wir alle kennen: Als Schutz gegen Pflanzenfresser produziert er in kleinen Mengen Zyankali – in Städten aber deutlich weniger davon. Denn dort hat er weniger natürliche Fressfeinde. Also wendet er seine Energie lieber dafür auf, seine Frostresistenz zu stärken.
Oder die Weißfußmaus im New Yorker Central Park, die wegen des starken Verkehrs rundherum in Isolation lebt. Sie ernährt sich vorwiegend von Fast Food Abfällen und produziert deshalb ein besonderes Enzym, mit dem sie fetthaltige Nahrung besser verdaut. Die Central Park Maus unterscheidet sich genetisch ganz klar von den anderen Weißfußmäusen.

Experten zählen den Biodiversitätsverlust zu den großen Herausforderungen der Zukunft. Warum ist Biodiversität so wichtig?
Tappeiner: Zunächst einmal, weil alles, was wir essen, mit Biodiversität zu tun hat. Wir verdanken ihr aber auch bahnbrechende Entdeckungen. Aspirin stammt ursprünglich aus der Rinde von Weiden. Aus dem feuchtigkeitsresistenten Klebstoff der Miesmuschel wurde ein chirurgischer Leim entwickelt, um Operationswunden zu schließen. Ein Wirkstoff aus dem Gift einer südamerikanischen Schlangenart hilft hunderten Millionen Menschen, ihren Blutzucker zu senken. Allein für die USA gibt es Berechnungen, wonach die biologische Schädlingsbekämpfung jährlich eine Einsparung von 4,5 Milliarden Dollar bedeutet.

Beim Erhalt der Biodiversität geht es nicht um das Überleben eines einzelnen schönen Schmetterlings. Es geht auch um die Wahrung wirtschaftlicher Grundlagen für die kommenden Generationen.

Wie ist es um die Biodiversität in Südtirol bestellt?
Tappeiner: Südtirol ist ein Hotspot der Biodiversität. Allein schon, weil es im Gebirge liegt, und damit starke Gradienten der Umweltparameter. Mulden und Kuppen im Gelände sorgen außerdem für kleine Habitat-Inseln. Innerhalb von 30 Zentimetern kann sich etwa die Temperatur extrem ändern – auf der Sonnenseite sind es womöglich 40 Grad, auf der Schattenseite acht. Zudem liegt Südtirol im Schnittfeld von mediterranem und gemäßigtem Klima. Und zuletzt hat auch noch die Vergletscherung die Biodiversität begünstigt. Im Prinzip haben wir also eine sehr gute Ausgangslage. Wir entdecken selbst heute noch neue Arten. Aber wir haben auch die starke Nutzung im Talboden, vor allem durch Landwirtschaft, Siedlungs- und Straßenbau.

Südtirol startet demnächst - mit der finanziellen Unterstützung der Landesregierung - ein Biodiversitätsmonitoring.
Tappeiner: Ja, denn noch gibt es keine systematisches Monitoring, obwohl viele einzelne Forschungsergebnisse vorliegen. Wir brauchen aber ein kontinuierliches Monitoring, um zu verstehen, wie rasch sich die Biodiversität ändert und wo solche Veränderungen besonders heikel sind.

Wie sieht so ein Monitoring im Detail aus?
Tappeiner: Wir legen ein Netz über Südtirol, Maschenweite vier bis fünf Kilometer, und die Knotenpunkte werden regelmäßig beprobt. So decken wir alle Habitate ab, von der Stadt bis zum Hochgebirge. Alle fünf Jahre wird derselbe Punkt beprobt. Neben den Arten werden auch Umweltparameter aufgenommen. Denn das Langzeit Monitoring soll uns Zusammenhänge aufzeigen, die wir sonst nicht erkennen würden. Wichtig ist dabei vor allem die Auswahl der besonders aussagekräftigen Tiergruppen. Und wie wir sie am besten beobachten. Bei Pflanzen ist es einfacher, die bewegen sich nicht. (lacht)

Richtig spannend wird es also in zehn Jahren?
Tappeiner: Ich bin überzeugt, dass es von Jahr zu Jahr spannende Ergebnisse geben wird. Dass wir heute wissenschaftlich nachweisen können, dass es den Klimawandel gibt, verdanken wir auch dem weltweiten genormten meteorologischen Netzwerk. In der Biologie gibt es diese Standards noch nicht. Wir sind dabei, sie mitzudefinieren.

Laut einer Studie von Eurac Research wird ein hoher Grad an Biodiversität vom Menschen als schön empfunden – etwa eine extensiv bewirtschaftete Bergwiese.
Tappeiner: Zu den Ökosystemleistungen, die die Natur für uns erbringt, gehören neben Versorgungsleistungen, wie etwa Nahrung, oder regulierende Leistungen, wie die Sauerstoffproduktion, auch kulturelle Leistungen: etwa die Schönheit einer Landschaft. Doch was ist schön? Die Studie von Eurac Research hat gezeigt, dass Wiesen, die mehr Arten enthalten, als schöner empfunden werden als artenärmere. Auf unsere Wahrnehmung ist also Verlass: In der Natur empfinden wir als schön, was unseren Fortbestand sichert.

 

Related Articles

Tecno-prodotti. Creati nuovi sensori triboelettrici nel laboratorio di sensoristica al NOI Techpark

I wearable sono dispositivi ormai imprescindibili nel settore sanitario e sportivo: un mercato in crescita a livello globale che ha bisogno di fonti di energia alternative e sensori affidabili, economici e sostenibili. Il laboratorio Sensing Technologies Lab della Libera Università di Bolzano (unibz) al Parco Tecnologico NOI Techpark ha realizzato un prototipo di dispositivo indossabile autoalimentato che soddisfa tutti questi requisiti. Un progetto nato grazie alla collaborazione con il Center for Sensing Solutions di Eurac Research e l’Advanced Technology Institute dell’Università del Surrey.

unibz forscht an technologischen Lösungen zur Erhaltung des Permafrostes in den Dolomiten

Wie kann brüchig gewordener Boden in den Dolomiten gekühlt und damit gesichert werden? Am Samstag, den 9. September fand in Cortina d'Ampezzo an der Bergstation der Sesselbahn Pian Ra Valles Bus Tofana die Präsentation des Projekts „Rescue Permafrost " statt. Ein Projekt, das in Zusammenarbeit mit Fachleuten für nachhaltiges Design, darunter einem Forschungsteam für Umweltphysik der unibz, entwickelt wurde. Das gemeinsame Ziel: das gefährliche Auftauen des Permafrosts zu verhindern, ein Phänomen, das aufgrund des globalen Klimawandels immer öfter auftritt. Die Freie Universität Bozen hat nun im Rahmen des Forschungsprojekts eine erste dynamische Analyse der Auswirkungen einer technologischen Lösung zur Kühlung der Bodentemperatur durchgeführt.

Article
Gesunde Böden dank Partizipation der Bevölkerung: unibz koordiniert Citizen-Science-Projekt ECHO

Die Citizen-Science-Initiative „ECHO - Engaging Citizens in soil science: the road to Healthier Soils" zielt darauf ab, das Wissen und das Bewusstsein der EU-Bürger:innen für die Bodengesundheit über deren aktive Einbeziehung in das Projekt zu verbessern. Mit 16 Teilnehmern aus ganz Europa - 10 führenden Universitäten und Forschungszentren, 4 KMU und 2 Stiftungen - wird ECHO 16.500 Standorte in verschiedenen klimatischen und biogeografischen Regionen bewerten, um seine ehrgeizigen Ziele zu erreichen.

Article
Erstversorgung: Drohnen machen den Unterschied

Die Ergebnisse einer Studie von Eurac Research und der Bergrettung Südtirol liegen vor.