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Forscher von Eurac Research sind international anerkannte Experten in der Analyse von Klimarisiken. Dabei dringen sie tief ins Getriebe einer Gesellschaft vor – und finden so zum Beispiel heraus, warum auch schlechte Banken Menschen verwundbarer machen können.

Unter den Fotos, die der Klimaforscher Marc Zebisch von seiner jüngsten Dienstreise in ein tadschikisches Bergtal mitbrachte, ist ein Gruppenbild lokaler Amtsinhaber, in der ersten Reihe drei stattliche Matronen mit Kopftuch – Gemeindevorsteherinnen kleiner Dörfer. Tadschikistan, jahrzehntelang Sowjetrepublik, ist im Hinblick auf Geschlechterrollen ein passabel aufgeklärter Staat, doch dass zunehmend Frauen solche Ämter übernehmen, hat einen spezifischen Grund: Die Männer verdingen sich als Gastarbeiter in Russland. Das Geld, das sie schicken, ist die wichtigste Einnahmequelle im Jabbor Rassulov District an der Grenze zu Kirgisistan, für das Zebisch und sein Team Klimarisiken analysierten: Was droht den Menschen dort durch den Klimawandel? Wo liegen die besonderen Schwachstellen? So eine Analyse ist die Voraussetzung, um Anpassungsmaßnahmen ergreifen zu können – „die Diagnose, ohne die man nicht über die Therapie entscheiden kann“, wie Zebisch es ausdrückt, auf diesem Gebiet ein international anerkannter Experte (siehe Kasten).

Jede neue Studie bestärkt den Geoökologen dabei wieder in einer Erkenntnis, die er „gerade als Naturwissenschaftler“ interessant findet: „Mit Daten kann man nur einen Teil der Probleme erfassen, und nicht immer die wichtigsten; die Zusammenhänge sind derart komplex – um sie zu verstehen, muss man vor allem den Leuten zuhören.“ Herzstück einer Klimarisiko-Analyse sind deshalb Workshops und Gespräche. In den tadschikischen Dörfern stellte sich so zum Beispiel heraus: Dass die Männer in Russland Geld verdienen, ist für die Klimarisiken nicht nebensächlich. Weil den Banken niemand traut, wird dieses Geld zuhause nämlich umgehend in Schafe und Ziegen verwandelt; so sind die Viehbestände über die Jahre größer und größer geworden und die ohnehin kargen Hänge, hoffnungslos überweidet, leiden an „Bodendegradation“. Degradierte Böden aber verkraften Hitze und Trockenheit viel schlechter, außerdem kommt es leichter zu Erosion: Starke Regenfälle, wie sie voraussichtlich häufiger werden, lösen dadurch Schlammlawinen aus, die Straßen und Brücken, das Stromnetz, Häuser, Felder und Herden bedrohen.
Ein Weg, dieses Risiko zu verringern, wären also sichere Investitionsmöglichkeiten – eine Alternative zum Vieh. Auch Weidepläne würden helfen; man könnte besonders steile Hänge durch Zäune von Tieren freihalten, Bäume pflanzen. „Da gibt es dann viele Möglichkeiten“, sagt Zebisch. „Um die richtigen Ansatzpunkte zu erkennen, muss man aber erst einmal tief ins Getriebe einer Gesellschaft hineinzusehen, sie als gesamtes System betrachten.“

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Denn wie groß die Risiken für die Menschen in einem Gebiet sind, hängt nicht allein von der drohenden Gefahr ab, sondern auch von ihren eigenen Umständen – ökologischen, wirtschaftlichen, gesellschaftlichen. Zebisch nennt „das Beispiel, das immer genannt wird: Steigt in Holland der Meeresspiegel an, erhöhen sie halt die Deiche. Steigt er in Bangladesch, sind Millionen Menschen überschwemmt.“ Die Gefahr ist die gleiche, den Unterschied macht Bangladeschs größere „Vulnerabilität“, wie der Fachbegriff heißt. Und da an den Gefahren – steigende Meeresspiegel, zunehmende Trockenheit, häufigere Stürme oder Starkniederschläge – kurzfristig nichts zu ändern ist, gilt es, die Verletzlichkeit zu verringern.

Zu ihr können die verschiedensten Faktoren beitragen. In dem tadschikischen Tal neben der Überweidung zum Beispiel die fehlende Zusammenarbeit mit dem Nachbarland Kirgisien – dort nehmen die Schlammlawinen oft ihren Ausgang und auch das simpelste Warnsystem würde für die tadschikische Seite schon mehr Sicherheit bedeuten. Oder der Umstand, dass ausgerechnet durstige Baumwolle der Hauptexportartikel ist. Die Tatsache, dass Fachleute für Wassermanagement fehlen, weil „jeder, der die Chance hat, wegzugehen und woanders mehr zu verdienen, sie sofort ergreift“. Womit man, wie in Entwicklungsländern immer, beim Faktor Armut landet: fast schon ein Synonym für Verletzlichkeit.

Wenn die Forscher in den Workshops nach Problemen und Veränderungen fragen, bekommen sie meist auch einen Einblick in die menschliche Natur: Die neigt überall auf der Welt dazu, erst einmal auf den Nachbarn zu zeigen – die aus dem Nebendorf schicken ihr Vieh auf unsere Weiden! – und die eigene Sorge für die drängendste zu halten. „Manchmal ist das wie bei einem Kriminalfall; man hört einen Zeugen und fragt sich: Kann das so stimmen? Dann klopft man die Aussage ab, fragt Fachleute, forscht nach.“ Aus all dem, was die Menschen berichten, aus den verfügbaren Daten und den Eindrücken, die sie bei Lokalaugenscheinen gewinnen, destillieren die Experten dann „Wirkungsketten“, die alle aufgedeckten Zusammenhänge abbilden. So ein Schaubild für die Gefahr „Starkregen“ zeigt dann auf einen Blick, wer und was den entstehenden Schlammlawinen ausgesetzt ist und welche Faktoren die Klimawirkung verstärken. Das kann auch eine verfestigte schädliche Gewohnheit sein, wie jene, Kiesel aus dem Flussbett zu schaufeln, um sie als Baumaterial zu verwenden: Dadurch wird der Boden aufgelockert und die nächste reißende Flut schwemmt Tonnen Material mit.

Das Konzept, Klimarisiken in ihre Komponenten zu zerlegen, hat Zebisch vor acht Jahren gemeinsam mit Forscherkollegen entwickelt und für die staatliche Entwicklungszusammenarbeitsorganisation Deutschlands (GIZ, Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit) in einer seitdem viel verwendeten Anleitung dargestellt. Mehr als zehn Länder haben mit Hilfe dieser Methode schon ihre nationalen Anpassungsstrategien ausgearbeitet. Die Analyse selbst zu übernehmen, reizt die Forscher von Eurac Research vor allem in Bergebieten: Zebisch hat Klimarisiken in Pakistan und Bolivien bewertet, sein Kollege Stefan Schneiderbauer in Burundi. Demnächst geht es nach Aserbaidschan.

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Wertvoll sind solche Diagnosen jedoch auch ganz unabhängig vom Klimawandel; durch den geschieht nämlich nur selten „etwas fundamental Neues“, wie Zebisch erklärt: „Oft verschärft er einfach Probleme, die ohnehin schon vorhanden sind.“ Bodendegradation etwa hat auch ohne eine Zunahme starker Regenfälle mit der Zeit verheerende Folgen – dann nämlich, wenn schlicht nichts mehr wächst.
Ob starke Regenfälle in dem tadschikischen Tal schon häufiger geworden sind, ist nicht sicher, aber klar zugenommen hat auf jeden Fall die Hitze und damit die Trockenheit. Vergangenen Sommer wurden erstmals 50 Grad erreicht, mit großen Ernteausfällen. Die Bewässerungsanlage, die die Sowjets hinterließen, arbeitet nicht mehr richtig, kostbares Wasser wird verschwendet. „In diesen Ländern fehlen oft schon die Ressourcen für das ganz normale Management, da sind die Herausforderungen durch den Klimawandel enorm“, erklärt Zebisch.

Die Diagnose im Jabbor Rassulov District erstellten die Forscher im Auftrag der GIZ. Auf ihrer Grundlage plant die Organisation Maßnahmen zur Anpassung an den Klimawandel, die in Zukunft verstärkt auch aus dem „Green Climate Fund“ der Vereinten Nationen finanziert werden sollen. Doch für die Zuteilung solcher Mittel, weiß Zebisch, zählen vor allem Daten: „Fundiert heißt da: mit Zahlen belegbar. Grenzwerte, Statistiken, Schadensausmaße. Was auch verständlich ist, irgendwie müssen Entscheidungen ja getroffen, Projekte priorisiert werden.“ Also stehen in seinem Bericht an die GIZ auch Empfehlungen, zu welchen Aspekten man noch Daten zusammenzutragen oder erheben könnte. „Gerade die Bodendegradation müsste aus Satellitendaten eigentlich gut ersichtlich sein, und Daten über schon entstandene Schäden sollte man auch finden.“ Dem Projektantrag wäre das sicher dienlich, und damit auch den Menschen. Nur wie man deren Situation verbessern kann, ist aus Zahlen nicht herauszulesen.

Erschienen in der Südtiroler Wirtschaftszeitung (SWZ) am 10.05.2019

 

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