Ob Upcycling von Apfelabfällen zu innovativem Material oder Fai-da-te-Lautsprecher in ansprechendem Design: Forschung im Bereich Design bringt weit mehr hervor als nur ästhetische Objekte, belegt der Prodekan für Forschung an der Fakultät für Design und Künste Nitzan Cohen.

Herr Professor Cohen, Sie sind – neben Ihrer Professur für Produktdesign - seit 2015 für den Bereich Forschung an der Fakultät für Design und Künste verantwortlich. Unterscheidet sich Forschung im Bereich Design von jener in Disziplinen wie Naturwissenschaften oder Ökonomie?
Nitzan Cohen: Design sticht sicherlich ein wenig aus dem üblichen Forschungsspektrum heraus. Es ist eine junge akademische Disziplin, die in ihrer Entwicklung nicht immer mit dem Unisystem kompatibel und in vielen Ländern auch nicht Teil davon ist. In Deutschland beispielsweise wird Design an Kunsthochschulen unterrichtet, nicht an einer Universität.

Im Bereich Design ist es wohl auch nicht so einfach festzulegen, wo die Grenze zwischen Forschung und Praxis verläuft. Wenn Sie zum Beispiel einen neuen Stuhl entwerfen ...
Da habe ich selber ein bisschen gebraucht, um das für mich klar abzugrenzen. Ich komme ja aus der Praxis, und jahrelang war ich der etwas naiven Auffassung, dass alles, was ich mache, ohnehin Forschung ist. Denn schließlich schaffe ich neue Objekte, die es davor nicht gab. Doch mittlerweile differenziere ich diesbezüglich schon etwas genauer.

Nach welchen Kriterien?
Wir unterscheiden im Design drei Forschungsbereiche: Einerseits Forschung durch Design, dort wird ein Forschungsprojekt mit Werkzeugen und Methoden des Designs vorangetrieben. Genau spiegelverkehrt gibt es dann Design durch Forschung. Hier ist das Ziel ein Designprojekt, das mit Methoden der klassischen Designforschung erstellt wird. Und schließlich haben wir auch noch die Forschung über Design. Das ist der theoretischste Bereich, in dem die Welt des Designs gewissermaßen unter dem Mikroskop analysiert wird.

In welchem dieser drei Bereiche liegt der Schwerpunkt an der Freien Universität Bozen?
Wir betreiben Forschung in allen drei Bereichen. Seit knapp einem Jahr haben wir dies intern auch noch einmal durch die Schaffung von drei Clustern strukturiert: Bei MAKE geht es stark um innovative Ansätze zur Konzeption von Artefakten und Räumen. Im Cluster TRANS-FORM finden sich alle Forschungsprojekte, bei denen es um Design, Kunst und soziale Praktiken für politische und ökosoziale Veränderungen geht. Und Projekte im Cluster ENABLE nehmen die unterschiedliche Kompetenzen und Prozesse in Design und Kunst unter die Lupe, oder widmen sich beispielsweise auch Erziehungsmethoden, also der Vermittlung von Kunst und Design.


Haben Sie ein konkretes Beispiel?
Ein sehr schönes Projekt aus dem Cluster MAKE, das aus einer Abschlussarbeit entstanden ist, heißt InnoCell. Dabei geht es um die Herstellung von mikrobieller Zellulose, eines innovativen Materials, aus Abfällen der Apfelwirtschaft. Diese vielfältig einsetzbare und biologisch abbaubare Zellulose entsteht aus Membranen, die von einer Bakterienart erzeugt werden, die wir mit Apfelresten füttern. Damit bieten wir ein Upcycling für Abfälle des größten geschlossenen Apfelanbaugebietes in Europa. Gemeinsam mit dem Food-Labor der Fakultät für Naturwissenschaften und Technik studieren wir unter anderem, wie die optimale Situation für diese Bakterien aussehen muss, um schließlich auch Do-it-yourself-Gewächshäuser für solche Bakterien anbieten zu können.

Warum soll jemand selbst Bakterien züchten, um Zellulose herzustellen?
Die ganze Welt des DIY, des Do-it-yourself, ist einer meiner aktuellen Forschungsschwerpunkte. Einerseits theoretisch, andererseits arbeiten wir aber auch an konkreten DIY-Produkten, bei denen es darum geht, Produkte erst einmal von der Grundlage her neu zu denken und zu definieren und Menschen dann dazu zu befähigen, sie selbst herzustellen.

Wie kann das funktionieren?
Wir arbeiten hier zum Beispiel an einem Lautsprecher, der aus einem kleinen Bluetooth-Lautsprecher und einer großen Membrane besteht. Denn bei unseren Recherchen sind wir darauf gekommen, dass die Klangqualität nicht von der Größe der Boxen, sondern von den darin eingebauten Membranen abhängt. Also haben wir die Box weggelassen und dafür die Membrane optisch ansprechend aus festem Papier gestaltet. Auf einer Online-Plattform kann jeder sein individuelles Muster dafür entwerfen, sie im FabLab selbst ausdrucken und dann seinen eigenen Lautsprecher zusammenbauen.

Nach dem Revival von Stricken oder dem Anbau des eigenen Gemüses sollen sich Menschen nun auch selbst Designobjekte schaffen?
Wir leben in einer Zeit, in der wir online alle erdenklichen technologischen Komponenten bestellen können und dort gleichzeitig unheimlich viel lernen können. Mein Ziel ist es, dies zu nutzen und Objekte zu schaffen, die Leute selbst machen können. Denn so vieles, das wir heute kaufen, entspricht nicht wirklich unseren Bedürfnissen, wird einfach so produziert, weil es für die Industrie bequem ist.

Und wir als Konsumenten sollten uns von der Industrie entkoppeln?
Das ist eben der soziale Aspekt dahinter. Es geht darum herauszufinden, was wir wirklich brauchen, was wie Sinn macht. Wenn wir Dinge selbst herstellen, können wir auch die ganze Wegwerfkultur eindämmen. Wir experimentieren hier zum Beispiel auch mit einem selbst herstellbaren Elektromotor. Sobald ich jedes motorbetriebene Objekt selbst bauen kann, könnte ich es auch selbst wieder reparieren.

Ein gesellschaftspolitischer Anspruch, der weit über Design hinausgeht...
Es ist ein weit verbreitetes Missverständnis, dass es bei Design nur darum geht, schöne Dinge zu schaffen. Form und Ästhetik sind natürlich auch unheimlich wichtig, aber Design kann noch weit mehr. Und ein großer gemeinsamer Nenner all unser Forschungsaktivitäten ist dabei sicher ein starker ökosozialer Aspekt. Nicht nur in unserem Masterprogramm für ökosoziales Design, sondern generell ist hier ein sehr starkes Profil im Entstehen, bei dem es darum geht, neue Lösungen für soziale und gesellschaftliche Probleme anzubieten.

 

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