Billionen Mikroorganismen leben am und im Menschen, die meisten im Darm. Doch unser Lebensstil lässt die Vielfalt dieser Bakterienbesiedelung dramatisch schrumpfen – mit weitreichenden Folgen für unsere Gesundheit. Weltweit arbeiten Wissenschaftler deshalb daran, das Wissen über das Mikrobiom zu erweitern. Einen wichtigen Beitrag zu dem hochaktuellen Forschungszweig leisten auch die Mumienexperten von Eurac Research.

Der Mikrobiologe Frank Maixner, ein Experte darin, Mumien ihre Geheimnisse zu entlocken – er war an vielen Studien zu Ötzi beteiligt – begab sich kürzlich zu Forschungszwecken auf neues Terrain: In einem Stollen des Salzbergwerks Hallstadt schabte er auf den Boden hingestreckt nach uralten Exkrementen. „Eine Goldquelle!“ Er strahlt. „Über eine Zeitspanne von fast 3000 Jahren wurde dort Salz abgebaut, und die Bergleute verrichteten auch ihre Notdurft im Stollen.“ Das erbeutete Material hat er mittlerweile im Labor im NOI Techpark schon ersten Untersuchungen unterzogen: „Es sieht vielversprechend aus – das Salz wirkt da scheinbar sehr konservierend.“
Maixners Freude über die fossilisierten Fäkalien hat einen spezifischen Grund: Aus Koprolithen, wie sie fachsprachlich heißen, lassen sich mittels Analyse alter DNA häufig noch erstaunlich genaue Erkenntnisse über die Darmflora des Ausscheidenden gewinnen. In Fäkalmaterial aus dem siebten Jahrhundert, gefunden in einer Höhle in Mexiko, konnten die Mumienforscher von Eurac Research alle vier Varianten von Prevotella copri nachweisen, ein Darmbakterium, das bei der Aufspaltung komplexer pflanzlicher Nahrungsmittel hilft. Die Untersuchung war Teil einer großen Studie, in der Nicola Segata und Adrian Tett von der Universität Trient die Darmflora von 6500 Menschen aus der ganzen Welt analysierten; Prevotella copri, so das Ergebnis, befindet sich in Industriegesellschaften fast im Aussterben – wenn überhaupt, ist es in unserem Darm nur noch in einer Variante zu finden. Bei Stammesgesellschaften in Ghana und Tanzania dagegen wiesen die Trientner Forscher vier Varianten nach – die gleiche Vielfalt, die Maixner und Zink in den Mexikanischen Koprolithen und Ötzis Magenmaterial identifizierten, das sie für die Studie ebenfalls untersuchten.

Prevotella copri ist nur eine von tausenden Bakterienarten in unserem Verdauungstrakt, wo die meisten der Billionen Mikroorganismen leben, die den Menschen besiedeln. Welche zentrale Rolle dieses Mikrobiom für unsere Entwicklung und Gesundheit spielt, wird der Wissenschaft seit einigen Jahren immer klarer: Nahrungsverarbeitung, Stoffwechsel, Immunabwehr, der Zustand unserer Psyche – alles beeinflussen die Bakterien in unserem Darm, mit denen uns eine symbiotische Beziehung verbindet. Einen „Tango zwischen Mensch und Mikrobe“ hat ein britischer Forscher diese Beziehung genannt, eng getanzt seit Jahrmillionen. Doch der Lebensstil der westlichen Zivilisation hat offenbar etwas aus dem Takt gebracht. Denn obwohl man beim Verständnis des Mikrobioms erst „ganz am Anfang“ steht, wie Maixner betont – eines zeigen mittlerweile zahllose Studien unwiderlegbar, darunter die der Bozner und Trientner Forscher: Die Lebensumstände der industrialisierten Welt sind mit einer dramatischen Verarmung des Mikrobioms verbunden. Wie vielfältig die Darmflora eines Menschen ist, hängt im Wesentlichen nicht von seiner Ethnie ab, oder vom Kontinent, auf dem er lebt, sondern von dem, was wir gemeinhin „Fortschritt“ nennen: Je moderner unser Lebensstil, desto weniger Arten leben in unserem Darm.

Dieser Verlust ist von Bedeutung, weil ein verarmtes Mikrobiom mit der zunehmenden Anfälligkeit für eine Vielzahl von Erkrankungen Verbindung gebracht wird, von Allergien und Asthma bis zu Autoimmunerkrankungen, chronischen Darmentzündungen und Übergewicht.
Manche Wissenschaftler vermuten deshalb, das schrumpfende Mikrobiom könnte als gemeinsame Ursache hinter verbreiteten Leiden unserer Zivilisation stecken – von daher das immense Interesse der medizinischen Forschung.

Wie es aussieht, zerstören wir also durch unseren Lebensstil die Biodiversität in unserem Bauch in ähnlicher Weise wie die Artenvielfalt in der Natur um uns herum, und mit der gleichen schwerwiegenden Folge, dass wir uns selbst wichtiger Lebensgrundlagen berauben. „Der Mensch vergisst eben oft, dass er in ein großes Ganzes eingebunden ist“, wie Maixner es ausdrückt.

An den Ergebnissen der Prevotella copri-Studie hat ihn erstaunt, „wie viel da in wie kurzer Zeit verloren ging.“ Von Ötzi zu uns – im Verhältnis der Menschheitsgeschichte ist das nur ein Augenaufschlag; gemessen an Prevotella copri aber war die Darmflora des Iceman dreimal so vielfältig. Dass die Wissenschaftler das herausfinden konnten, verdankt sich rasanten Fortschritten auf dem Gebiet der Analyse alter DNA. Mit diesen verfeinerten Techniken ist es den Mumienforschern möglich, aus der Gesamt-DNA – etwa von Ötzis Mageninhalt – einzelne Bakterien-Sequenzen herauszufischen, selbst wenn nur noch Bruchstücke vorhanden sind. Die Analyse uralter Proben trägt so wichtige Erkenntnisse zu einem hochaktuellen Forschungszweig bei. „Zum einen können wir so zeigen, dass das Mikrobiom indigener, noch relativ isoliert lebender Bevölkerungen tatsächlich eine Art Originalzustand darstellt, sich also als Vergleichswert eignet. Und wir können Veränderung verfolgen, zurückschauen in eine Zeit, wo es bestimmte Einflüsse einfach noch nicht gab.“

Welche Einflüsse genau? Ein paar Faktoren hat die Wissenschaft schon identifiziert: Antibiotika, Kaiserschnittgeburten, chemische Zusätze in unseren Lebensmitteln, generell eine Ernährung, die nur noch wenig gemein hat mit der ballaststoffreichen Nahrung unserer Vorfahren. Kinder, die durch Kaiserschnitt auf die Welt und also nicht mit dem Vaginalsekret der Mutter in Berührung kommen, sind noch Jahre später an den fehlenden Bakterienstämmen in ihrem Mikrobiom zu erkennen. Mäuse, denen ballaststoffarmes Futter verabreicht wurde, hatten schon in der vierten Generation nur noch halb so viele Darmbakterien.
Wie dem Kahlschlag entgegenzuwirken ist, wird teilweise auch schon erprobt. In Schweden, erzählt Maixner, der dort zu einem längeren Forschungsaufenthalt war, experimentiert man zum Beispiel damit, bei Kaiserschnittgeburten das Kind sofort mit dem Scheidensekret der Mutter einzureiben, das vorher mit einem Schwamm aufgesaugt wird.

Doch Lösungsansätze sind nicht immer leicht zu finden. Denn im Ökosystem des Darms haben die Wissenschaftler es „mit einer Komplexität zu tun, die unser Vorstellungsvermögen übersteigt“, wie Maixner sagt: „Da geht es nicht nur um die einzelnen Bakterienstämme, sondern um ihr Zusammenspiel in Nachbarschaften und Wohngemeinschaften.“
Noch ist die Wissenschaft jedenfalls weit davon entfernt, ein „gutes“ Mikrobiom definieren zu können; nur dass es wohl sehr unterschiedlich aussehen kann, scheint klar – bei den Nachfahren von Generationen milchtrinkender Viehbauern zum Beispiel anders als bei Bevölkerungen, die seit Jahrhunderten vor allem von Fisch leben. Auch wie ein bestimmtes Bakterium sich verhält, hängt von den Bedingungen ab, auf die es trifft. Prevotella copri etwa wird in manchen Studien mit Krankheiten in Verbindung gebracht, andere Untersuchungen deuten auf positive Effekte hin – den Unterschied macht die Ernährung des Gastmenschen, wird vermutet. Israelische Wissenschaftler versuchen in einem großen Forschungsprojekt, auf Basis von Mikrobiom-Analysen die richtige Ernährung für den einzelnen Menschen zu bestimmen und so Krankheiten vorzubeugen oder zu heilen.
„Das Darm-Mikrobiom ist die Barriere zwischen uns und unserer Nahrung“, erklärt Maixner: „Es besteht da also ein sehr enger Zusammenhang. Aber wie der im Einzelnen aussieht, dazu weiß man noch wenig.“
Weil die Ernährung der Bergleute in Hallstadt relativ gut zu rekonstruieren ist, hofft Maixner, mit der Studie gerade zu dieser Frage interessante Antworten zu finden. Und damit die geheimnisvolle Welt in unserem Bauch ein wenig weiter zu erhellen.

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