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Zahlt es sich aus, im Alter noch eine neue Sprache zu lernen? Auf jeden Fall, weiß die Sprachwissenschaftlerin Rita Franceschini von der unibz. Es ist das perfekte Training fürs Gehirn und tut obendrein der Seele gut.

Noch vor zehn Jahren glaubten Forscher, darunter die Neurologin Joy Hirsch von der Cornell-Universität in New York, dass die Fähigkeit, Sprachen zu erlernen mit zunehmendem Alter nachlasse. Verantwortlich dafür sei das Gehirn. Damit unser Denkmuskel heranreifen kann, werden die Nervenfasern nach und nach mit Myelin, einer isolierenden Membran, überzogen. Als Folge können Nervenzellen elektrische Impulse schneller leiten, aber nicht mehr so leicht neue Verbindungen mit anderen Nervenzellen knüpfen. Eine Erklärung dafür, dass das Lernvermögen beim Erwachsenen abnimmt.
„Das mag schon stimmen“, sagt Rita Franceschini, Leiterin des Kompetenzzentrums Sprachen an der Freien Universität Bozen, „aber neue Studien zeigen auf, dass unser Gehirn viel formbarer ist als bislang angenommen. Wird es stimuliert, bildet es auch noch im hohen Alter neue Nervenzellen aus.“
Vor allem die Beschäftigung mit Sprachen scheint besonders geeignet zu sein, um das Gehirn fit zu halten. Franceschini: „Das Sprechen fordert alle Sinne. Das Gehirn arbeitet unter Hochdruck, vor allem wenn es Fremdsprachen verarbeitet.“
Noch aus ihrer Zeit an der Universität in Saarbrücken vor zehn Jahren rühren Studien, die das Code-switching, also den Wechsel von einer Sprache in die andere, mittels Magnetresonanz untersuchten. Bereits damals wurde deutlich, dass sich bei der Fremdsprache zusätzliche Regionen im Gehirn aktivieren und zwar im sogenannten präfrontalen Kortex. Die Probanden waren außerdem imstande,beide Sprachen unter Kontrolle halten zu können. Sie wechselten also nicht unkontrolliert mitten in einem Satz von einer Sprache in die andere. Ein Beweis dafür, dass Mehrsprachigkeit die Hirnaktivität steigert.

 Zweisprachigkeit und Demenz
Ellen Bialystok von der kanadischen York University hat in ihrer Forschungsarbeit nachgewiesen, dass zweisprachige Menschen durch jahrelanges Training geistige Reserven entwickeln und so weniger häufig an Demenz erkranken. Darauf angesprochen, bestätigt Franceschini diese Ergebnisse. „Man weiß dies über Verhaltenstests unterschiedlicher Art. Bei zweisprachigen Personen konnte beobachtet werden, dass Symptome von Demenzerscheinungen im Schnitt fünf Jahre später ausbrechen.“ Forscher haben in den USA und Kanada auch das Krankheitsbild ein- und zweisprachiger Alzheimer-Patienten miteinander verglichen. „Personen, die eine weitere Sprache erworben hatten, egal ob früh oder spät im Leben, erkrankten im Schnitt später an Alzheimer“, so die Sprachwissenschaftlerin. Gemeinsam mit Gerda Videsott hat Rita Franceschini den Fachbeitrag „Das Erlernen von vier Sprachen und die Vorteile aus kognitiver Sicht“ publiziert.
Auf die Vorteile für das menschliche Gehirn angesprochen, räumt sie eingangs mit einem Missverständnis auf: „Unter kognitiven Vorteilen versteht man nicht den Intelligenzgrad einer Personen. Wenn man von kognitiven Vorteilen spricht, dann könnte vielleicht jemand denken, dass mehrsprachige Personen – wie man hier sagt – ‚gscheiter’ seien. Dem ist nicht so. Das Aufwachsen mit mehreren Sprachen und das Erlernen von Sprachen im weiteren Lebensverlauf bieten für das Gehirn einfach einen vergrößerten Erlebnisraum und somit mehr Verarbeitungsmöglichkeiten.
“ Vorstellen kann man sich das so: Wenn man täglich mit mehreren Sprachen Umgang hat, muss man oft entscheiden, welche Sprache wann angebracht ist, mit wem man wie spricht und welcher Ausdruck dabei gewählt werden muss. Diese Entscheidungen regelmäßig, ja fast schon automatisiert zu treffen, das ist das eigentliche Trainingsfeld für viele kognitive Fähigkeiten, vor allem für jene, die mit Entscheidungsprozessen in Zusammenhang stehen.
Die Forschungsgruppe rund um Rita Franceschini hat in Zusammenarbeit mit der Universität Vita-Salute San Raffaele in Mailand Langzeitstudien mit Kindern durchgeführt. Kinder, die zweisprachig aufwachsen, wurden mittels Magnetresonanz getestet. Dabei konnte ein Hirnareal gefunden werden, das in der Zeitspanne zwischen zwei Messungen (nach rund 12 Monaten) mehr graue Materie angereichert hatte als dies bei einsprachigen Kindern der Fall war. Das Forschungsergebnis wurde 2013 in der Nummer 49 der Fachzeitschrift „Cortex“ publiziert.
Flankierend zu dieser Langzeitstudie hat das Forscherteam auch Fünftklässler aus dem mehrsprachigen Schulsystem der ladinischen Täler Südtirols besucht und dem sogenannten Flanker-Test unterzogen. Bei diesem müssen sich die Schüler auf Pfeile konzentrieren, die in einer Reihe, mal unten, mal oben – mit und ohne Vorwarnung – erscheinen. Es geht dabei um die Richtung des mittleren Pfeiles: Schaut er nach rechts, muss man die rechte Maustaste drücken, schaut er nach links, die linke. Die Testergebnisse zeigten auf, dass vor allem jene Kinder einen kognitiven Vorteil haben, welche in den Sprachfächern am besten abschneiden. „Eine Sprache sehr gut zu beherrschen bringt also die größten Vorteile“, resümiert Franceschini. „Und dabei waren es nicht die Kinder mit einem allgemein hohen Notendurchschnitt, die im Test am besten abschnitten, es waren die sprachlich kompetentesten.“

Modernes, ideales Sprachenlernen
Wie sieht er also aus - ausgehend von den Forschungsergebnissen - der zeitgemäße Unterricht? „Nun“, sagt Franceschini, „ein zeitgemäßer Unterricht vermittelt kulturell reiche und authentische Inhalte, bezieht viele Sprecher und Sprecherinnen in das Unterrichtsgeschehen ein und sucht Kontakt mit dem Leben außerhalb des Schulzimmers.“ Altersgerecht sollten Austauschmöglichkeiten angeboten werden, in denen die Sprache mit konkreten und für die Kinder interessanten Gesprächspartnern verwendet wird. Der Sprachunterricht würde auf die Fähigkeiten abzielen, wie man sich dabei sprachlich austauschen kann. Das bedeutet ableitend davon, dass die Grammatik nicht im Zentrum sondern im Dienste der Kommunikation stünde. Als praktisches Beispiel könnte man sich vorstellen, dass man gemeinsam eine E-Mail schreiben würde und so den gewandten Umgang mit Sprache erlernt.

Das Sprechen fordert alle Sinne. Das Gehirn arbeitet unter Hochdruck, vor allem wenn es Fremdsprachen verarbeitet.

Und auch einen Trend in der Neurolinguistik kann Franceschini ausmachen: Von der Suche nach einem Ort im Gehirn, der für die Ausübung einer Funktion zuständig ist, sind die Forscher dazu übergegangen, Netzwerken nachzugehen: „Man sieht heute in vielen Belangen die Arbeit des Gehirns viel mehr als Prozess an. So existiert Sprache monolithisch für das Gehirn nicht, sondern es unterscheidet eher, ob etwas gelesen oder gehört wird; und dabei ist es nicht einmal so wichtig, ob es in der einen oder anderen Sprache ist.“
Und wie ist es nochmals mit dem Sprachenlernen im Alter? Unbedingt, denn die verminderte Lernfähigkeit machen ältere Menschen mit Erfahrung und Ausdauer wett. Nur die Aussprache werde nie die eines Muttersprachlers sein. „Die Fähigkeit, Laute exakt wahrzunehmen und wiederzugeben verlieren wir schon in der frühen Kindheit“, so Rita Franceschini.

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