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Im Jänner 2016 startet der Südtirol-Konvent. Er soll Anregungen für die Überarbeitung des zweiten Autonomiestatuts geben und ist ein ambitioniertesProjekt: Zum ersten Mal dürfen die Bürger mitreden. Elisabeth Alber, EURAC-Forscherin und Prozessbegleiterin, über tatsächliche Möglichkeiten und falsche Illusionen.

1972 trat das Zweite Autonomiestatut in Kraft. Es war ein Meilenstein in der Geschichte Südtirols. Warum?

Elisabeth Alber: Das Erste Autonomiestatut von 1948 hatte die gesamte Region für autonom erklärt. Da Südtirol aber ganz andere Bedürfnisse als das Trentino hat – etwa was die Gleichstellung der deutschen mit der italienischen Sprache betrifft – brauchte man ein Zweites Autonomiestatut. Gesetzgebungs– und Verwaltungskompetenzen wurden auf die zwei Provinzen verlagert. So konnte Südtirol ab 1972 endlich alle konkreten Werkzeuge zum Schutz der deutschen und ladinischen Minderheit schaffen, etwa im Bereich der öffentlichen Verwaltung und im Schulwesen.

Die Vorarbeit für das Statut von 1972 haben Experten geleistet – die so genannte Neunzehner-Kommission. Warum hatte man sich für diese Lösung entschieden?

Alber: Die Südtirolfrage war komplex; man musste auch auf internationaler Ebene eine Lösung finden. Also entschied man sich für die Neunzehner-Kommission. Von 1961-1964 erarbeitete sie Lösungsvorschläge, die dann als das so genannte „Paket“ den Kern des Zweiten Autonomiestatuts bilden sollten.

Über 40 Jahre lang galten die Durchführungsbestimmungen zum Zweiten Autonomiestatut als das wichtigste Rechtsinstrument für die Gestaltung Südtirols. Ist dies jetzt nicht mehr der Fall?

Alber: Die Durchführungsbestimmungen dienten in erster Linie zur Umsetzung des Zweiten Autonomiestatuts. Doch auch als diese 1992 abgeschlossen war, erwiesen sie sich als weiterhin notwendig, um die Autonomie auszubauen.

Warum versucht man sich dann heute an der Überarbeitung des Zweiten Autonomiestatuts mittels Bürgerbeteiligung?

Alber: Aus verschiedenen Gründen. Ein Hauptgrund ist, dass sich viel getan hat seit 1972, als es noch keinen Euro und keine Europaregion gab. Außerdem ist das Demokratieverständnis heute ein anderes. Auf der ganzen Welt gerät die repräsentative Demokratie an ihre Grenzen. Man muss vermehrt mit dem Bürger und nicht nur für den Bürger arbeiten. Denn die Bürger wollen mehr mitgestalten – zusätzlich zu Wahlakten und Volksabstimmungen. So auch in Südtirol. Das Statut von 1972 wurde von einigen wenigen erarbeitet, heute ist dies nicht mehr angebracht. Alle Südtiroler sollen Vorschläge für die Überarbeitung des Statuts einbringen können.

Südtirol folgt also einem weltweiten Trend. Können Sie uns andere Beispiele von partizipativer Demokratie nennen?

Alber: Es gibt sehr viele und sehr unterschiedliche Fallbeispiele: auf Gemeindeebene, auf regionaler Ebene, auf supranationaler Ebene. Gemeinsam ist ihnen allen, dass sie ergebnisoffen und – im Regelfall – beratender Natur sind. Wichtig für erfolgreiche Beteiligungsprozesse ist die politische Kultur, und im Konkreten, ein konstruktiver und konsensorientierter Dialog zwischen den Bürgern und den Entscheidungsträgern. Beispiele partizipativer Demokratie sind der Bürgerrat, aber auch der Bürgerhaushalt oder die Planungszelle.

Gibt es auch Beispiele partizipativer Demokratie, die mit dem Südtirol-Konvent vergleichbar sind? Alber: Der Südtirol-Konvent wird zur Überarbeitung des Autonomiestatuts der Region Trentino-Alto Adige/Südtirol eingesetzt. Diesen Weg ist man auch schon 2004 in der autonomen Region Friaul-Julisch Venetien gegangen. Die Bürger saßen zwar nicht im Konvent, konnten sich aber auf einer Internetplattform einbringen.

Welche Bedeutung misst der Südtirol- Konvent den Bürgern bei?

Alber: Die Südtiroler werden über verschiedene Kanäle an den Arbeiten beteiligt. So können sie ihre Vorstellungen zur Zukunft Südtirols einbringen (siehe Grafik).

Kritikpunkte an der partizipative Demokratie lauten: Sie sei rechtlich nicht bindend und Laien brächten zu wenig Sachwissen mit in den Diskurs. Ist dem so?

Alber: Partizipative Demokratie – im angelsächsischen Raum spricht man von deliberativer Demokratie – ist immer ein einmaliger und kontextgebundener Prozess. Der Südtirol-Konvent ist so gesehen eine einzigartige demokratiepolitische Chance. Das Wissen und die Ideen aller sind gefragt, denn es geht um die großen gesellschaftspolitischen Herausforderungen, denen sich Südtirol stellen muss. Es stimmt, dass die Ergebnisse von Beteiligungsprozessen selten rechtlich bindend sind. Der Konvent ist ein Hilfsorgan für den Südtiroler Landtag. Trotzdem sind seine Ergebnisse eine moralische Verpflichtung. Denn wenn Bürger, die sich eingebracht haben, sehen, dass ihre Vorschläge sich zur Gänze im Sande verlaufen, ist das Frustrationspotenzial groß.

Welche Chancen ergeben sich also für Südtirol?

Alber: Der Südtirol-Konvent ist eine Ideenwerkstatt, die es in dieser Form hier noch nie gegeben hat. Der Diskussionsprozess ist genauso wichtig wie das Ergebnis. Denn die Südtiroler haben erstmals die Möglichkeit, in einem offenen und sprachgruppenübergreifenden Prozess die Zukunft Südtirols mitzudenken. Für uns Wissenschaftler ist interessant zu beobachten, welche Themen aufgegriffen werden, wie die Diskussionen verlaufen und welche rechtlichen Herausforderungen die Anregungen in Bezug auf ihre Umsetzbarkeit mit sich bringen.

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